Wir lesen uns die Tiere nicht aus. Und erhalten Anfragen für Pferde querbeet: Gesunde, top betreute Tiere, von denen sich die Besitzer ungewollt trennen müssen, aber auch kaputte Springpferde, untaugliche Rennpferde, alte Deckhengste, Freiberger Schlachtfohlen, abservierte Kinderponys, ausgediente Freizeit- oder Reitschulpferde oder «schwierige» Tiere von überforderten Tierhaltern. Die Bedürfnisse der bunten Schar an Pferden und Ponys mit unterschiedlichstem «background» unter eine Decke zu bringen, ist bisweilen eine echte Herausforderung.
Wir versuchen, auf die Bedürfnisse eines jeden Tieres einzugehen, sein körperliches und mentales Wohlbefinden zu fördern. Bei einem Tier mit schlechter Vergangenheit braucht es manchmal viel Geduld und Fingerspitzengefühl, bis es sich dem Menschen wieder öffnet. Die Anforderungen sind in Bezug auf die Haltung, Pflege und Betreuung vielfältig; dies variiert schon allein zwischen den verschiedenen Rassen, noch mehr zwischen den Tieren mit unterschiedlichster Vergangenheit und gesundheitlichem Zustand.
Pferde in Freiheit leben in Gruppen. Unsere Pferde und Ponys sollen möglichst Kontakt miteinander haben, ohne Stress, Freundschaften pflegen, ihre «best friends» wenn möglich selbst auslesen können. Das Gesetz schreibt vor, dass man Equiden nicht allein halten darf. Traurige Realität: In manch defizitärem Pferdestall erhält ein Reitpferd deshalb einen billigen Beisteller, zum Beispiel ein ausrangiertes Mini-Shetty, das wenig Platz braucht und wenig frisst: Beide sind Tiere total verschieden – traurige «loneliness» zu zweit. Oder: Pferde werden von den Besitzern nach Lust und Laune von Pensionsstall zu Pensionsstall geschleift und auseinandergerissen; das mache ihnen nichts aus, werden wir dann belehrt.
Unsere Grüppchen müssen mit Bedacht zusammengestellt werden und die Strukturen müssen so sein, dass alle Tiere, auch die Schwächeren und Langsameren, zu ihrer Sache kommen. Auseinandersetzungen gibt es immer wieder. Ehemalige Deckhengste, so unsere Erfahrung, lassen sich manchmal auch nach der Kastration kaum in eine Gruppe integrieren. Leider werden Hengste, so unser Eindruck, bisweilen aus purer Eitelkeit erworben und nicht kastriert, falsch behandelt, und, weil man dann mit dem «bösen» Tier doch nicht klarkommt, schnell weitergegeben; sie enden als «Wanderpokal» in einer unseligen Abwärtsspirale, bis sie gebrochen und ihre Seele definitiv kaputt ist.
Pferde und Ponys würden in freier Wildbahn viel Zeit mit Umherwandern zwecks Nahrungssuche verbringen. Sie sind Dauerfresser, ihr Magen produziert ununterbrochen Magensäure, entsprechend muss sich das Pferd in kurzen Abständen mit Futter befassen und bewegen können, um gesund zu bleiben. Wir bemühen uns, dem mit entsprechender Fütterung, strukturierten Weiden und angepasstem Weidegang, sowie mit Beschäftigung gerecht zu werden.
Beschäftigung bieten wir in Form von Bodenarbeit, Reiten, Spazieren. Die Tiere sollen Freude daran haben, die Beschäftigung soll Körper und Geist fit halten und den Kontakt mit dem Menschen positiv beeinflussen. Manche Pferde lassen ihr Leben als Reitpferd gern hinter sich, andere aber möchten weiterhin «gebraucht» werden. «Abgelöschte» Tiere oder solche, denen früher durch Menschen Schmerz zugefügt wurde, brauchen viel Geduld und Einfühlungsvermögen.
Pferden, die sozusagen roh zu uns kommen, vermitteln wir selbstredend das Benimm-ABC, mit Halfterführigkeit, Akzeptanz von Hufpflege, Tierarzt, Verladetraining usw.. Junge Tiere, die vermittelt werden sollen, werden von professionellen Trainer:innen ausgebildet.
Huf- und Zahnpflege sind ein Muss. Massgeschneiderte Fütterung, Betreuung, Pflege und die medizinische Versorgung können aufwendig sein: Unsere Tiere kommen mit allem Erdenklichen an, mit Allergien, chronischen Krankheiten, v.a. Stoffwechselkrankheiten, Sommerekzemen, Verschleiss des Bewegungsapparats, Huffehlstellungen, neurologischen Defiziten, Zahnkrankheiten. Ohne Medikamente geht es leider nicht, aber Physiotherapie, Massage sowie eine sorgfältige tierärztliche Begleitung helfen sehr. Ein älterer Wallach zum Beispiel brauchte zu Beginn drei Medikamente, nach ein paar Jahren bei uns keines mehr. Mehrere Tiere waren nach Ankunft gesundheitlich auf der Kippe, mit der Zeit hatten sie wieder Lebensfreude in den Augen.
Päuli, ein kräftiger junger Minishettyhengst, musste sich zwei Jahre selbst durchschlagen. Die Besitzer gingen im Streit auseinander, zogen weg und waren der Meinung, der jeweils andere Partner müsse die zurückgelassenen Tiere versorgen. Keiner machte es. Die Tiere: eine riesige Sau, die das Paar einst als putziges Ferkel zur Hochzeit erhalten hatte, sodann zwei Ziegen, der Minishettyhengst und ein paar Hunde. Der Nachbarsbauer verfolgte die Tragödie, er und wir kontaktierten mehrmals das Amt – nichts geschah. Und uns als privaten Tierschutzverein waren die Hände gebunden. Die Sau und die Hunde verschwanden (bis die Sau wieder auftauchte und wir uns kümmern mussten). Im zweiten Winter vermeldete der Bauer, die Ziegen seien inzwischen verhungert, und das Pony fresse den eigenen Kot. Entgegen den behördlichen Weisungen holten wir den kleinen Hengst noch in derselben Nacht ab – die Polizei half uns. Päuli, so tauften wir ihn, war brandmager, verwildert, angriffig, schlug, biss. Sobald er an uns gewöhnt und kastriert war, wurde er jedoch zum liebenswertesten Kerl, den man sich vorstellen kann. An einem Ritual hielt er eisern fest: Mit seinen beiden Pony-Damen im Schlepptau zum Nachbarsbauern zu galoppieren, um Zuckerrüben zu stehlen. Der kleine Kerl hat uns viele Jahre begleitet, wir vermissen ihn.